INNOVATIONSPREIS KIRCHENMUSIK 2025

Erster Innovationspreis Kirchenmusik für Domkantor Albrecht Koch
Eine zeitgenössische Passion von Arvo Pärt begleitet die Präsentation des Fastentuches von Michael Morgner im Freiberger Dom.

DRESDEN – Die Kirchgemeinde am Dom zu Freiberg und Domkantor Albrecht Koch bekommen erstmals den Innovationspreis Kirchenmusik für Ihr Projekt Arvo Pärt: Passio – Passionsmusik vor dem verhüllten Altar des Domes. Am 12. April 2025 musiziert der Freiberger Domchor gemeinsam mit AuditivVokal und Mitgliedern der Dresdner Kapellsolisten unter Leitung von Domkantor Albrecht Koch vor dem mit dem Fastentuch „Ecce Homo“ des Chemnitzer Künstlers Michael Morgner verhüllten Altar des Freiberger Domes eine der bedeutendsten Passionsvertonungen des 20. Jahrhunderts.

Foto: Freiberger Dom, Ecce Homo 2023

Arvo Pärt: Passio
Samstag, 12. April 2025, 17:00 DOM ZU FREIBERG
Freiberger Domchor, AuditivVokal, Instrumentalisten, Clemens Lucke, Orgel , Domkantor Albrecht Koch, Leitung

Michael Morgner: ECCE HOMO / Arvo Pärt: PASSIO
Der Chemnitzer Künstler Michael Morgner hat drei überdimensionale Fastentücher geschaffen. Erstmalig 2023 wurde im Rahmen der Intervention zur Passion der Kulturkirche2025 damit der Altar des Domes verdeckt. Die Kirchgemeinde am Dom setzte eigeninitiativ das Projekt 2024 fort. 2025 erfolgt nun die Präsentation des dritten Tuches, was erneut in der Kooperation mit dem Purple Path, einem der Hauptprojekte der Kulturhauptstadt Chemnitz2025 stattfindet. Traditionell erklingen im Dom jährlich die Passionsmusiken Johann Sebastian Bachs oder seiner Zeitgenossen. 2025 nun erfolgt erstmals eine Gegenüberstellung zeitgenössischer Kunst.
Morgners Fastentücher sind Kunstwerke, die zu einem nahezu meditativen Betrachten innehalten: Die einzelnen Blätter sind in Morgners ganz eigener Technik mit dunkler Lackfarbe bedruckt – von fast unsichtbar dort, wo das Papier die mit Farbe bestrichene Druckplatte mit der Symbolform des aufrechten Menschen kaum berührt, nur gestreichelt hat, bis kräftig erdig braun dort, wo Farbe und Papier heftig in Berührung kamen. So oszilliert auch die menschliche Figur zwischen Auftauchen und Verschwinden. Zudem nehmen die Blätter die Knitter des Papiers wie Narben des Lebens auf. Anschließend hat der Künstler die Papiere so zusammengefügt, dass sich ein Farbverlauf vom Dunklen unten ins Helle nach oben ergibt – einer Auferstehung gleich, die den Menschen sowohl erinnernd für die Erde bewahrt wie auch in der Weite des Himmels aufgehen lässt. Die aneinandergereihten Bögen mit der Figur des rastenden Christus erfahren in immer neuen Druckvarianten neue Betrachtungs- und Bedeutungsfelder.

Wer sich Arvo Pärts Johannespassion hörend nähert, muss hingegen alles hinter sich lassen, was er aus Bachs Passionen an Hörerfahrung mitbringt. Der Vertonung liegt der lateinische Text des Johannesevangeliums aus der Vulgata zugrunde. Es findet keinerlei Übertragung in eine Landessprache und auch keinerlei Interpolierung neuer, deutender Texte statt. Was sich vollzieht, ist so rituell und selbstverständlich wie die jährliche Passionslesung im Gottesdienst.‘
Pärts spirituelle Musik, die in 75 Minuten wie ein stiller Strom dahinfließt, wird so in einen unweigerlichen Dialog mit dem überdimensionalen Kunstwerk treten, das in den Bewegungen von Luft und in einer lebendigen Form über den Ausführenden vor dem Altar schwebt. Bild und Musik ergeben so eine miteinander verschmelzende Szene. Das Konzertprojekt bietet mehrfache Kooperationen: Einerseits musiziert der Freiberger Domchor gemeinsam mit dem Dresdner Ensemble AuditivVokal, einem der innovativsten Ensembles zeitgenössischer Vokalmusik. Andererseits ist die Veranstaltung ein Teil des offiziellen Eröffnungswochenendes des Purple Path der Kulturhauptstadt Chemnitz2025.
So entstehen schwingende Dialog-Ketten: Zwischen singenden Profis und Laien, zwischen einem 500 Jahre alten Kirchenbau mit zeitgenössischer Kunst und Musik, zwischen einer Kirchengemeinde mit ihren liturgischen Gewohnheiten und Ritualen und dem internationalem Kunst- und Kulturpublikum samt seinen neugierigen Erwartungshaltungen in einer ihm unbekannten Region.

Domkantor Albrecht Koch / Foto: Stefan Leitner

Vita Domkantor Albrecht Koch

Organist, Dirigent, Künstlerischer Leiter, kultureller Ideen- und Impulsgeber – Albrecht Koch ist eine herausragende Persönlichkeit der sächsischen Musik- und Kulturlandschaft. Er genießt nationales und internationales Renommee für sein musikalisches Wirken genauso für wie für sein vielseitiges kulturelles Engagement.
Nach ersten musikalischen Grundlagen beim Dresdner Kreuzchor und dem Studium an der Leipziger Musikhochschule wirkt der gebürtige Dresdner hauptamtlich als Domorganist und -kantor am Dom St. Marien in Freiberg/Sachsen. Dort spielt er die berühmte historische Silbermann-Orgel von 1714, die als barockes Meisterwerk gilt und jährlich tausende Besucher und Orgelfreunde anzieht. Am Freiberger Dom leitet er den Domchor und die Domkurrende und gründete die Domkinderchöre. Er gestaltet Orgelkonzerte, dirigiert Oratorien, Bachs Passionen und führte bereits in Vergessenheit geratene Werke der sächsischen Musikgeschichte wieder auf. Die zeitgenössische Musik ist ein weiterer Fokus seines Wirkens: Koch brachte bereits zahlreiche Auftragswerke für Orgel sowie Chor und Orchester zur Uraufführung. In 2024 lässt er eine Video- und Lichtinstallation zu Haydns Schöpfung produzieren und hat sich passend zur EM in Deutschland ein Konzertprogramm mit Kompositionen aus Ländern, die das Achtelfinale erreichen, einfallen lassen.
Als international gefragter Konzertorganist ist Albrecht Koch bei renommierten Festivals im In- und Ausland zu Gast. Einladungen führten ihn zum Orgelfestival Holland, Festival Toulouse Les Orgues, Orgelfestival Madeira, Musikfest ION, Bachfest Leipzig, zu den Dresdner Musikfestspielen oder zur Dresdner Philharmonie und mehrfach nach Australien. Durch Rundfunk-, CD- und Filmproduktionen hat er sein künstlerisches Schaffen einem breiten Publikum zugänglich gemacht und wurde für seine Arbeit für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert.
Seit 2022 ist Albrecht Koch Präsident des Sächsischen Kultursenats, dem kulturellen Beratungsgremium der sächsischen Landesregierung. Er steht der Gottfried-Silbermann- Gesellschaft e.V. vor und ist Künstlerischer Leiter der renommierten Silbermann-Tage und Vorsitzender des Internationalen Gottfried-Silbermann-Orgelwettbewerbs. Die Konzertreihe an der historischen Silbermann-Orgel in Reinhardtsgrimma wird von ihm künstlerisch verantwortet und lädt jährlich junge Nachwuchstalente und renommierte Organisten ins Osterzgebirge ein. Darüber hinaus vertritt er die Stadt Freiberg in der Vereinigung European Cities of Historical Organs (ECHO). In diesem Rahmen entwickelte er das Konzept für das Junge Ohren Orgelfestival für Kinder und Jugendliche in den ECHO-Städten Freiberg und Altenburg maßgeblich mit. Für seine vielfältigen künstlerischen und gesellschaftlichen Verdienste wurde ihm im Jahr 2022 die Sächsische Verfassungsmedaille vom Freistaat Sachsen verliehen.

Hintergrund Innovationspreis Kirchenmusik

Die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens lobte 2024 erstmals einen Innovationspreis Kirchenmusik zur Förderung von innovativen Projekten aus. Ausgezeichnet werden innovative musikalische Projekte mit einer klar erkennbaren geistlichen Thematik und Ideen, welche geistlich künstlerische Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen geben und nach zeitgemäßen musikalischen Ausdrucksformen des Glaubens suchen. Dieser Preis war auf Grundlage der Konzeption Kirchenmusik durch die 28. Landessynode ins Leben gerufen worden. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert.

Der Jury gehören neben dem Landeskirchenmusikdirektor, ein Theologe oder eine Theologin, eine Synodale oder ein Synodaler, ein Vertreter des Sächsischen Musikrates und Mitglieder der Konferenz für Kirchenmusik der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens an. Alle Mitglieder der Jury sind unter https://kirchenmusik-sachsen.de/innovationspreis-kirchenmusik/ zu finden.

Domkantor Albrecht Koch im Gespräch mit Landeskirchenmusikdirektor Burkhard Rüger
Februar 2025

Es sind vielleicht die vielen Verbindungen zwischen Tradition und Gegenwart. Sowohl die Passionsmusiken als auch die Verhüllungen von Altären haben eine jahrhundertealte Tradition. Dazu kommt, dass wir von Passionsmusiken als Lutheraner sehr konkrete Vorstellungen haben, die vor allem durch Heinrich Schütz und dann natürlich Johann Sebastian Bach geprägt sind. Nun habe ich ein Projekt, dass einerseits die Erwartungshaltungen bedient, andererseits sie aushebelt. Pärts Musik ist so weit weg von allem, was wir normalerweise mit Passionsvertonungen verbinden. Sie ist unemotional, gleichförmig und fließt nahezu meditativ dahin. Dazu kommt das faszinierende Fastentuch von Michael Morgner, acht mal fünf Meter groß. Es korrespondiert mit dem Raum des Freiberger Domes, als wäre es für diesen geschaffen. Und es geht in einen Dialog mit der Musik, mit der Gleichförmigkeit, die zum genauen Beobachten einlädt. Die Kooperation mit der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 bringt uns zudem ein Publikum, dass nicht aus liturgischem Interesse in die Passion kommt, sondern einzig das Kunsterlebnis sucht. Die werden dennoch nicht unberührt vom Heiligen Geist nach Hause gehen. Kurzum könnte man sagen: Wo wir Dinge in Zusammenhang bringen, die aus dem Alltag heraus betrachtet nicht zusammengehören, wo wir Traditionen aufnehmen, aber neu interpretieren, dort entsteht Innovatives.

Sie sind am Freiberger Dom mit einer über 800jährigen Geschichte an einem traditionsreichen Ort tätig, der mit den beiden Silbermannorgeln über zwei herausragende historische Instrumente verfügt. Das verpflichtet doch eigentlich zur Tradition. Ist es mit solch einem Erbe nicht sehr schwer, neue innovative Akzente zu setzen?

Nein, ich empfinde es eher als etwas befruchtendes. Nehmen wir Gottfried Silbermann: In seiner Zeit war er es, der die innovativen Akzente setzte. Das gilt ja auch für Johann Sebastian Bach. In der Gegenwart schaffen wir wenig neues, führen oft aus dem Kanon der Meister vor uns auf. Nun muss man also entweder Neues schaffen oder das Alte neu beleuchten. Letzetres macht mir sehr viel Freude. So ein Raum wie der Dom ist dabei auch eine wunderbare Kulisse und Bühne. Er lebt aus seiner Geschichte und ist ja gleichzeitig Ort einer lebendigen und gegenwärtigen Kirchenmusik. Er lädt ein, die Musikgeschichte zu reflektieren, fordert aber auch zu neuen Perspektiven auf. Zum 800jährigen Jubiläum der Goldenen Pforte wollen wir beispielsweise die Menschen in Liegestühle vor dieses fantastische, einem biblischen Bilderbuch gleichende Portal setzen und dazu musikalisch Clubatmosphäre schaffen. Sakrileg, sagen vielleicht manche. Ich sage: Wir holen die Menschen in ihrer Gegenwart ab und bringen sie in Verbindung mit etwas, was hunderte von Jahren alt ist. Und sie nehmen das als so selbstverständlich an, dass es auch nachwirkt und nachhallt.

Unsere Gesellschaft befindet sich im schnellen Wandel. Digitalisierung und Globalisierung haben in kurzer Zeit neue gesellschaftliche Räume geschaffen. Es scheint der Eindruck zu entstehen, dass Spiritualität bei den Menschen immer weniger eine Rolle spielt. Wie kann Kirche, speziell Kirchenmusik, sich in der Gesellschaft verorten und relevant bleiben?

Ich finde, dass Spiritualität schon weiter gefragt ist, nur dass sie sich nun häufig aus unzähligen Versatzstücken aus aller Welt zusammenpuzzelt. Das hat jetzt aber weniger etwas mit der Kirchenmusik selbst zu tun. Diese ist in der Gegenwart, und damit schließt sie auch an die Kirchenmusik in der DDR an, ein ganz starker Verbundanker in die säkulare Gesellschaft. Das gilt sicherlich für das traditionelle Kulturpublikum, aber auch für jüngere Menschen außerhalb der klassischen Musikbubble. Die Schwelle ist niedrig, über die man gehen muss. Man kann in einer Kirche auch über die Schönheit eines Kirchenraumes staunen, ohne zu Glauben oder ins Gebet zu gehen. Und viele Menschen nehmen dann etwas Positives mit, was sie vielleicht selbst gar nicht in Worten beschreiben können. Ich glaube, dass ein großer Teil unseres Publikums im Dom nicht kirchlich ist. Aber aus unseren Konzerten kann es emotionale Nahrung ziehen. Die ist dann vielleicht schon ganz nah an dem, was wir Spiritualität nennen.

Kirche in der Welt gestalten – Welt in der Kirche gestalten Das sind zwei Thesen aus der Konzeption Kirchenmusik unserer Landeskirche. Weiter heißt es in der Konzeption: Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern wird empfohlen, geistlich künstlerische Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen zu suchen und zeitgemäße, musikalische Ausdrucksformen des Glaubens zu erproben. Was sind für Sie zeitgemäße, musikalische Ausdrucksformen des Glaubens? Können diese die gesellschaftlich relevanten Fragen überhaupt beantworten?

Wir können über die Kirchenmusik keine gesellschaftlich relevanten Fragen beantworten. Aber wir können schon mal positive Diskursräume schaffen: Wenn wir miteinander singen, müssen wir aufeinander hören und miteinander in eine Richtung gehen. Das ist doch schon mal etwas, was in der Gegenwart nicht mehr selbstverständlich ist. Und dann ist mir total wichtig, dass wir zwar Kirche sind, aber eben in einer Welt stehen, die meint, Kirche immer weniger zu brauchen und dennoch unser Wirken braucht. Die Chöre in unseren Gemeinden sind beispielsweise häufig das letzte kulturelle Lebenszeichen, was es in Dörfern weit ab der Zentren noch gibt. Oft höre ich zurecht Klagen über die Bedingungen, über die neuen ungeliebten Strukturen, über mangelnden Nachwuchs. Hier sollten wir aber viel stolzer auf unser Wirken schauen, denn wir sind die, die das kulturelle Lagerfeuer am Brennen halten. Und wenn dann eben keine Kinder mehr ins Pfarrhaus kommen, dann sollten wir dorthin gehen, wo die Kinder sind. Wir müssen uns viel stärker auf die kirchenfernen Menschen ausrichten. Deren Bedürfnisse sind ähnlich den unseren. Wir müssen sie nur abholen. Insofern eben Kirche in die Welt tragen und damit die Welt zurück in die Kirche holen. Auf welche Art und Weise das dann geschieht, ob mit einer klassischen Kirchenmusik oder mit modernen Ausdrucksformen, ob mit Alten oder Jungen, Instrumenten oder Tanz, das ist ganz gleich. Wenn man nur sich mutig auf den Weg macht.

Lieber Herr Koch, vielen Dank für das Gespräch.